Montag, 11. Januar 2010

mit Vollkorn gegen die Kurven

Vollkorn. D a s Zauberwort schlechthin soll das sein. Gerade jetzt zum Jahreswechsel, wo unsere Schwüre, sich endlich von einigen Kilo Körpergewicht zu trennen, noch schwer wiegen, bevor sie sich wie jedes Jahr wieder verdünnisieren und uns schwer und enttäuscht zurücklassen.
Aber dieses Jahr haben wir ja das Vollkorn. Es soll uns helfen, den besten aller Pläne, nämlich abzunehmen ohne die Nahrungsaufnahme zu verringern, in die Tat umzusetzen. Ein modernes Märchen, meinen Sie? Unsere Ernährungswissenschaftler halten es für seriöse Wissenschaft. Die Masse an Balaststoffen in diesem Vollkorn (mehr als 6 Gramm auf 100 Gramm geballter Energie!) würde dies bewerkstelligen und der günstige glykämische Index. Und überhaupt sei das volle Korn einfach nur gesund.
Wers glaubt. Haben Sie schon mal Ritterrüstungen gesehen? Da hätten Sie nicht mal als Elfjähriger reingepasst. Stimmts? Die Ernährungslage unserer Vorfahren hatte einen stattlicheren Körperbau einfach nicht zugelassen. Und so waren die stolzen Ritter, was heute die bemitleidenswerten Jockeys sind: Kinderkrieger.
Das war nicht immer so, sondern kam mit dem Übergang der Jäger- und Sammlerkulturen zu Bauernkulturen sesshafter Menschen, als der Mensch Fleisch, Beeren, Nüsse und Eicheln durch Grassamen und Kohl ersetzte, ersetzen musste.
Diese Grassamen, die er kultivierte, heißen heute Weizen, Roggen, Hafer und Co..
Und man nahm das volle Korn - und hätte auch die Halme genommen, wenn sie essbar gewesen wären - weil man es sich nicht leisten konnte, nahrhafte Teile davon wegzuwerfen.
Von dieser jahrhundertelangen Mangelernährung hat er sich erst wieder in der Neuzeit erholt, und Vollkornprodukte verschwanden in kulinarischen Nischen.
Ist also wissenschaftlicher Rat, diese Mangelernährung wieder gesellschaftsfähig zu machen? Nur um schlank zu werden? Wohl kaum.
Wie dem auch sei. Selbst wenn wir auf fachmännischen Rat setzen würden, der allgemeine Wahnsinn auch auf diesem Gebiet würde uns einholen:
Sieben von zehn Vollkornbrötchen, gekauft in Deutschlands Fachhandel, sind gar keine - laut einem jetzt veröffentlichten Testbericht. Sie sehen nur so aus oder werden von entsprechenden "Fachverkäufern" so angepriesen. (wahrscheinlich von 400€-Kräften mit einer Ausbildung, die sich wohl in folgender Anweisung erschöpft: "Arbeitsbeginn 8 Uhr, Laden schließen Punkt 19 Uhr, danach Aufräumen - unbezahlt, natürlich. Fehlbeträge in der Kasse zahlen Sie aus eigener Tasche").
Die restlichen Fehleinkäufe gehen aber auf unser eigenes Konto: Ein in Körner getauchtes Milchbrötchen, mit Rübensirup nachgedunkelt und "Mehrkornbrötchen" getauft, gerät schnell mal in den Verdacht, ein kerngesundes Vollkornbrötchen zu sein. Diese Art von Selbstbetrug ist weitverbreitet, lenkt unsere Schritte beispielsweise in eine Bäckerei statt zum Discounter, obwohl....
Sind Sie etwa sicher, dass ihr Bäcker um die Ecke hinter dem Verkaufsbereich überhaupt noch eine Bäckerei hat - mit Knetmaschinen und Backofen und so? Viel wahrscheinlicher ist, dass eine fabrikmäßige Großbäckerei Ihren Laden beliefert. Solche Großbäcker beliefern auch Lidl, Aldi und Co. Oder sie verwenden die gleichen Backmittel - und die verwendet mit ziemlicher Sicherheit auch die kleinste Kleinbäckerei. Und dass Backmittel so wenig mit Mehl zu tun haben wie eine Marlboro light mit einer naturidentischen Gauloise, hat sich bestimmt inzwischen herumgesprochen.
Nur so mancher Bäckermeister glaubt heute noch an sein Märchen vom Brot aus Mehl, Wasser, Salz, Hefe und sonst nix.
Beim Discounter können Sie übrigens nachlesen, was drin ist in seinen Backwaren. Der hat nämlich entweder Auszeichnungspflicht oder macht das freiwillig. Beim Bäcker um die Ecke müssen Sie sogar fragen, ob das eine Apfel- oder eine Quarktasche ist! -
Sind wir dann doch endlich an ein Vollkornbrötchen geraten - aus Roggenmehl, hurra! - noch eine Warnung zum Schluss, dann sind wir durch mit dem Mythos "gesundes Vollkorn". Und die geht so: Sauerteigführung ist ein Prozess, der sehr anfällig ist für Witterungseinflüsse, wie das gute alte Mehl auch, übrigens. Deshalb die Backmischungen statt Mehl, in denen feingemahlener Marmor, Zitronensäure, Amylase und andere Enzyme neben Mehl - gepanscht aus vielen Sorten - so zusammengerührt sind, dass gleichbleibende Backeigenschaften garantiert werden können.
Aber zurück zum Sauerteig. Wie gesagt: weil zu riskant und langwierig, wird der im Teig durch irgendwelche Säuren ersetzt. Diese Säuren kriegen aber eines nicht hin: Stoffe im Roggenmehl zu zersetzen, die von der Roggenpflanze als Schutz gegen Fressfeinde entwickelt wurden. Deshalb sehen Vollkorn-Köstler oft so gebläht aus: In ihrem Magen entfaltet der Roggen-Abwehrstoff nämlich seine ganze triebhafte Wirkung.
Und so erhält die Evolution nach 1000 Jahren Sauerteig endlich wieder ihre Chance: Spätestens nach dem dritten Vollkorn-Brötchen geben wir auf, und schielen wieder auf der hohen französischen Küche bekömmliches Kind: das Baguette. Wohl bekomm's.
Übrigens: Franzosen sind im Schnitt deutlich schlanker als ihre nächsten Nachbarn im Osten.
Erfolgreiches und glückliches Neues Jahr, übrigens.
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