Eine Studie besagt: Ex-Hauptschulabsolventen leben gesünder als Akademiker. Weil sie sich mehr bewegen, und das an der frischen Luft. Als Maurer, als Dachdecker.
Nun sind ja Statistiken immer nur so gut wie ihr Ruf, zumal diese hier vorliegende von einer Krankenkasse in Auftrag gegeben wurde. Trotzdem, Hinhören lässt Zweifel aufkommen. Die Männer auf den Baugerüsten sprechen nämlich fließend Englisch und philosophieren über die Relativitätstheorie genauso wie über Kants kategorischen Imperativ, ohne dabei die Kelle aus der Hand zu legen. Studenten der Uni am Ort und der Fachhochschule sind das; die Ex-Hauptschüler gehen derweil ihren Überwachungsaufgaben nach: Die Bierqualität muss vor dem „Verbauen“ (so nennen sie das - mit einem Augenzwinkern) getestet werden. Den Kasten hatte der Theologie-Student im 4. Semester zum Arbeitsbeginn angeschleppt. Dienstanweisung! „Von wem ist die?“, hatte der Vorarbeiter gefragt und ihm die Flasche vor die Augen gehalten. "Von Eichbaum." Der Ex-Hauptschulabgänger und Analphabet Piotr K. hatte glücklich mit den Augen gerollt. "Gut!", und seinen Hilfsarbeiter wieder aufs Gerüst geschickt. "Geh mit Gott!", hatte er ihm hinterher gerufen. Was beweist, dass sie ihren Humor nicht verloren haben, obwohl sie wissen, dass die überwiegende Mehrheit ihres Jahrgangs ihr Bier jetzt zuhause vor der Glotze trinkt.
Derweil steht der Akademiker als solcher von Anfang an genau einen Schritt vorm Abgrund - und das bleibt so während seiner gesamten Hochdruck-Karriere. Ein Müsli würde da den Kohl auch nicht fett machen, weiß er, denn er kennt die Grenzen ausgewogener Ernährung. Bei seiner Frau, die das Leben schont, kann das aber sehr wohl lebensverlängernde Wirkung haben, weshalb er bereit ist, in ihr tägliches Sushi und ihre Sprossen an geriebenem Mango-Rand zu investieren.
Überhaupt ist ihm die Volksgesundheit ein großes Anliegen . Deshalb ist es ganz in seinem Sinne ist, dass der Großteil seiner Steuern in die gesunde Ernährung bildungs- und arbeitsferner Schichten abfließt.
Denn sie sind das Tafelsilber dieser Gesellschaft - und ihre Brutstätte.
Seine Frau dagegen zieht Kinderlosigkeit vor - aus gesundheitlichen Gründen. Was er gut verstehen kann. Er begnügt sich derweil mit einem Milchreis von Müller Milch und vermilchreist - wenigstens drei Minuten. Aber irgendwo knallen Sektkorken - und er muss spontan an seine Frau denken. Und sein Lächeln gefriert plötzlich den Löffel Milchreis vor seinem Mund. Er kaut nachdenklich und zähneknirschend.